Vordimensionierung von vorgespannten Flachdecken

 

Flachdecken zählen zu den Standarddecken des Hochbaus. Insbesondere bei großen Spannweiten wirkt sich das hohe Eigengewicht aufgrund des über die gesamte Fläche angeordneten Querschnitts mit konstanter Höhe nachteilig aus. Mit der Vorspannung steht ein Hilfsmittel zur Beeinflussung der Konstruktion zur Verfügung und ermöglicht dünne Deckenquerschnitte bei großen Werten für die Schlankheit. Während es mittlerweile eine Vielzahl von benutzerfreundlichen Programmen für die Berechnung von vorgespannten Flachdecken gibt, fehlen für den Entwurf die entsprechenden Hilfsmittel. Nachfolgend wird ein Konzept vorgestellt, welches unter Berücksichtigung von konstruktiven Randbedingungen erlaubt, die erforderliche Anzahl von Spannkabeln für eine vorgespannte Flachdecke zu ermitteln. Zugleich wird auf die verschiedenen Einflüsse und deren Wirkung auf die Dimensionierung und das Ergebnis hingewiesen. Die bereit gestellten Formeln erlauben es dem Planer einfache Programme in Tabellenform selbst zu erstellen. Dennoch werden einzelne Ergebnisse auch als Diagramm bereitgestellt.

Keywords: Vorgespannte Flachdecken, Stützstreifenvorspannung; Optimierung der Spannkabel; Vordimensionierung Spannkabel; Spannstahlverbrauch

1 Einleitung

 

Flachdecken als Deckenkonstruktion für den Hochbau haben sich etabliert und finden eine weitverbreitete Anwendung. Obwohl deren Entwicklung [1] auf das Jahr 1910 zurückgeht, hat eine weite Verbreitung erst mit den Jahren ab 1970 begonnen. Auch die ab dieser Zeit entwickelten und mittlerweile standardisierten Bewehrungselemente zur Sicherstellung des Querkraftwiderstands entlang des Stützenkopfs haben dazu beigetragen. Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für die üblichen Spannweiten des Hochbaus bis ca. 7.50m lassen sich mit einer schlaff bewehrten Flachdecke noch erfüllen. Größere Spannweiten für eine Flachdeckenkonstruktion sind konsequenterweise mit höheren Deckenquerschnitten und in der Folge mit mehr Eigengewicht verbunden. Eine ausgeglichene Bilanz zwischen höherer Deckensteifigkeit und größeren Einwirkungen kann in diesem Fall nicht mehr erreicht werden. Dazu müssen weitergehende Maßnahmen genutzt werden. Zweifelsfrei zählt dazu eine Gewichtsreduktion durch Verdrängungskörper ebenso wie eine Vorspannung. Der große Vorteil der Vorspannung besteht darin, mit den infolge der Kabelgeometrie erzeugten Umlenkkräften, die Einwirkungen unmittelbar aufzunehmen und direkt über der Stütze abzugeben, ohne dass dieser Anteil über den Querschnittswiderstand von dem Feldbereich zur Stütze transportiert werden muss. Folglich können die Abmessungen der Querschnitte geringer ausfallen. Dies ist mit der Reduktion der Beanspruchungen verbunden ist.

Die Aufgaben des Ingenieurs [2] bei der Planung und Umsetzung von Ingenieurbauwerken besteht zwingend in der genannten Reihenfolge aus:

  1. Konzept (dazu benötigt es Wissen und Erfahrung)
  2. Konstruktive Durchbildung (ist zwingend erforderlich, um die Machbarkeit vorgängig zu überprüfen; dieser Aufgabe kommt insbesondere bei vorgespannten Konstruktionen eine hohe Bedeutung zu)
  3. Berechnung (basierend auf dem Konzept, den festgelegten Abmessungen, der Idealisierung für die Konstruktion bei der Modellierung)
  4. Realisierung (Umsetzung, gemäß den Plänen und Details)

Für die Berechnung und die Nachweise einer vorgespannten Deckenkonstruktion stehen mittlerweile ausreichend viele Programme zur Verfügung. Allerdings muss die Vorspannung dazu bereits bestimmt sein, will man nicht mehrfach die Berechnung wiederholen und iterativ die Auslegung der Spannkabel korrigieren. In diesem Fall mangelt es an den der Berechnung (Punkt 3) vorgelagerten Punkte 1 und 2. Das betrifft insbesondere die vorgespannten Bauwerke, da es dort immer noch in erster Linie auf die Konzepte und die konstruktive Durchbildung ankommt.

Dazu müssen Abmessungen der Bauteile festgelegt, die Platzverhältnisse für den Einbau der Spannkabel und deren Anker geprüft und die Vorspanneinheiten selbst bestimmt werden. Deshalb benötigt der Planer für die Festlegung der Vorspannkräfte in der Entwurfsphase entsprechende einfache Hilfsmittel. Der Mangel an solchen Hilfsmitteln trägt dazu bei, dass die Vorspannung bei Flachdecken derzeit immer noch sehr zögerlich angewendet wird. Nachfolgend werden einige Hinweise für den Entwurf vorgespannter Flachdecken gegeben, verbunden mit einfachen Hilfsmitteln für die Vordimensionierung der Spannkabel.

2 Anpassung der Kabelgeometrie für den Verlauf der Spannkabel für vorgespannte Flachdecken

Der absolute Wert der Umlenkkräfte sowie deren Einwirkungsrichtung werden durch die Geometrie des jeweiligen Verlaufs des Spannkabels bestimmt. Der Krümmung in unmittelbarer Nachbarschaft der Auflager schließt sich die gegenläufige Krümmung in der restlichen Spannweite an. Der Wendepunkt zwischen den beiden gegenläufigen Krümmungen sollte möglichst nahe am Auflager liegen. Es gilt, die Ausbreitung der nach unten gerichteten Umlenkkräfte im Auflagerbereich zu minimieren, so dass sie im direkten Abtragungsbereich liegen und über Druckstreben direkt in die Stützen eingetragen werden können.

Im Verlaufe der Jahre wurden mehrere verschiedene geometrische Formen für den Spannkabelverlauf für eine praxisnahe Umsetzung entwickelt. Die klassische parabelförmige Geometrie wurde bereits sehr früh in der Schweiz [3] durch eine trapezförmige Geometrie abgelöst, um mit möglichst wenig Kabelhaltern die Form auf der Baustelle sicher zu stellen. Dieses praxisorientierte Ziel verfolgt auch die Entwicklung der freien Spanngliedlage. Hinweise zu deren Verlauf sowie die Einflüsse auf die Abweichungen der Geometrie finden sich in folgenden Publikationen [4, 5, 6]. I.d.R. kann jeder der drei genannten geometrischen Verläufe abschnittsweise mit einer Formel beschrieben werden. Maßgebend für die Ermittlung der Umlenkkräfte in beide Richtungen ist jedoch der Winkel des Wendepunkts zwischen den beiden gegenläufigen Krümmungen. Nachfolgend wird exemplarisch der Neigungswinkel für den parabelförmigen Verlauf dargestellt.

Auf analoge Weise lassen sich auch für die weiteren geometrischen Verläufe die Winkel bestimmten. Der Wendepunkt für die trapezförmige Geometrie sowie für die freie Spanngliedlage ist i.d.R. jedoch weiter von dem Auflagerpunkt entfernt als bei der parabelförmigen Geometrie. Inwieweit die Umlenkkräfte dann noch innerhalb der Direktabtragung liegen, muss im Einzelfall geprüft werden. Bei dem trapezförmigen Kabelverlauf muss zudem die Lage des Wendepunkts aus den Vorgaben der Spannweite, des Minimalradius und der Pfeilhöhe iterativ bestimmt werden.

3 Geometrische Grundlagen für die Festlegung der Spannkabel

Im Vergleich mit den üblicherweise vorgespannten Konstruktionen wie z.B. Brücken, handelt es sich bei den Flachdecken um sehr schlanke Bauteile. Werte für die Schlankheit von d/L ≈ 30 bis 40 führen bei den gewünschten Spannweiten zu sehr geringen Deckenquerschnitten. Da die Größenordnung der Umlenkkräfte infolge Vorspannung von der Größe der Spannkraft, aber auch von den Pfeilhöhen abhängt, gilt es diese innerhalb der geringen Querschnittshöhe zu optimieren. Zu dieser Optimierung gehört die Festlegung der Reihenfolge des Einbaus der einzelnen Bewehrungselemente.

Bild 1 Platzverhältnisse für Spannkabel innerhalb des Deckenquerschnitts

Die einzelnen Lagen der schlaffen Bewehrung in beide Richtungen werden entsprechend dem Bild 1 festgelegt. Die 1. und 4. Lage verlaufen parallel zueinander. Die 3. und 4. Lage liegen senkrecht dazu dazwischen. Die Lage der Spannkabel orientiert sich an dieser Vorgabe. Mit dieser Festlegung ergeben sich maximale Pfeilhöhen für die einzelnen Spannrichtungen. In diesem Zusammenhang spricht man von der Hauptrichtung (HR) der Vorspannung als bevorzugte Lage und der Nebenrichtung (NR).

Um die Abhängigkeit der Größe der Pfeilhöhe von dem Deckenquerschnitt darzustellen, wurde deren prozentualer Anteil für verschiedene Deckenstärken unter Beachtung der geometrischen Randbedingungen ermittelt (Bild 2).

Bild 2 Prozentualer Anteil der Größe der Pfeilhöhe vom Deckenquerschnitt.

Für die gängigen Querschnittshöhen einer Flachdecke nimmt die Pfeilhöhe nur einen Anteil von ca. 50% bis 60% ein. Selbst bei den größeren Deckenstärken lassen sich anteilmäßig nur ca. 70% nutzen. Wie man ebenfalls erkennt, beträgt der Unterschied der Pfeilhöhen zwischen der Haupt- (HR) und der Nebenrichtung (NR) ca. 10%. Dieses Handicap ist dann durch eine höhere Spannkraft in dieser Richtung auszugleichen. Das Diagramm verdeutlicht auch, wie sensibel die Größenordnung der Pfeilhöhe von der vorgenannten Einbaureihenfolge ist.

4 Arten der Spanngliedanordnung

Das Tragverhalten der Gurtstreifen nimmt maßgeblichen Einfluss auf das Gesamttragverhalten der Flachdecke. Kennzeichnend dafür sind die jeweiligen Durchbiegungen. Die Durchbiegungen der Gurtstreifen betragen i.d.R. bereits ca. 70% derjenigen in Feldmitte. Daraus folgt, dass die Anordnung der Spannkabel in den Gurtstreifen zu der wirkungsvollsten Art einer Flachdeckenvorspannung zählt. Bereits mit den Umlenkungen einiger weniger Spanngliedern in den Gurtstreifen wird die Einwirkung über der Stütze und im Gurtstreifen entlastet und die Durchbiegungen in Feldmitte maßgeblich reduziert. Die Deckenstärke kann somit gegenüber einer schlaff bewehrten Decke um ca. 35% reduziert werden. Die Wirkung einer im Feldbereich zusätzlich angeordneten verteilten Vorspannung fällt weniger stark aus. Die Kombination aus Stützstreifen- und verteilter Feldvorspannung reduziert den Querschnitt nur um ca. 45%, obwohl die doppelte Menge an Vorspannstahl zur Anwendung kommt.

Mit einfachen Überlegungen lassen sich die Durchbiegungen von Flachdecken mit und ohne Vorspannung bestimmen. Die Verformungen eines punktgestützten quadratischen Deckenfelds ergeben sich wie folgt

Bei Vorgabe von zulässigen Verformungen (z.B. L/500) lässt sich iterativ die erforderliche Deckenstärke bestimmen.

Ordnet man eine Vorspannung in den Stützstreifen beider Richtungen an, deren gesamten Umlenkkräfte das Eigengewicht der Decke kompensieren, entspricht das Verformungsverhalten nur für die Einwirkungen aus Eigenlasten einer vierseitig gelagerten quadratischen Deckenplatte. Die Verformungen für diese Lagerung bestimmen sich wie folgt:

Diese Angaben lassen sich nutzen, um die Deckenstärke für die drei möglichen Ausführungsformen (schlaff bewehrt; Stützenstreifenvorspannung; Stützstreifenvorspannung und verteilte Vorspannung) zu ermitteln und die Unterschiede zueinander darzustellen. Die zeitliche Veränderung der Verformungen infolge der veränderlichen Einflüsse wie Kriechen und Schwinden, sowie einer teilweisen Rissbildung wird mit pauschalen Faktoren berücksichtigt. Für die ständigen Einwirkung wird der Faktor 6.0 verwendet und für die variablen Einwirkungen wird der Faktor auf den Wert von 2.0 beschränkt.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich nun die Verformungen für die schlaff bewehrte Decke, die Decke mit Stützstreifenvorspannung und für die Decke mit Stützstreifenvorspannung ergänzend um eine verteilte Vorspannung iterativ ermitteln und in einem Diagramm (Bild 3) darstellen.

Für eine schlaff bewehrte Flachdecke lautet die Formel für die Ermittlung der Durchbiegungen:

Bei einer reinen Stützstreifenvorspannung reduziert sich demzufolge bereits ein Großteil der gesamten Verformungen durch die linienförmigen Umlenkkräfte:

 

Und schlussendlich verschwinden die Verformungen infolge der Einwirkungen aus Eigengewicht bei einer verteilten Vorspannung vollständig:

 

Bild 3 Erforderliche Deckenstärke von Flachdecken infolge einer zulässigen Durchbiegung (Eingangswerte: p=5.0 KN/m2; wzul = L/500; Vergröße-rung der elastischen Durchbiegungen infolge Kriechen, Schwinden und Risse: 6.0)

Eine verteilt angeordnete flächige Vorspannung nimmt mit ihren Umlenkkräften die Einwirkungen auf und belastet direkt die Gurtstreifen. Diese wiederum müssen die aufgesammelten Einwirkungen mit den Spannkabeln in den Stützstreifen übernehmen und auf direktem Wege zu den Auflagerpunkten abtragen.

Deshalb bietet sich beim Entwurf ausschließlich eine Stützstreifenvorspannung an, mit der das Tragverhalten einer Flachdecke maßgebend beeinflusst wird. Werden höhere Anforderungen als die gängigen z.B. an die Durchbiegungen gefordert, kann ergänzend eine flächige Feldvorspannung in Betracht gezogen werden. Es bleibt jedoch zu beachten, dass sich die Deckenstärken bei einer ergänzenden Feldvorspannung oftmals auf einen Wert reduzieren, der aus konstruktiven Gründen nicht ausgeführt werden sollte (d ≤ 0,20m; d/L ≥ 40). Der Entwurf für eine vorgespannte Flachdecke beschränkt sich aus wirtschaftlichen Gründen zumeist auf die Anordnung einer Stützstreifenvorspannung.

Bild 4 Vorspannlayout mit einer Gurtstreifenvorspannung

5 Bestimmung der Größe der Umlenkkräfte (zur Entlastung der Einwirkungen)

Die infolge der Kabelgeometrie vertikal nach oben gerichteten Umlenkkräfte in den Gurtstreifen nehmen die Einwirkungen auf und geben diese mit der gegenläufigen Krümmung im Bereich der Stütze innerhalb kleinster Abmessungen an diese ab. Die Kabelgeometrie wird unter Ausnutzung des Minimalradius (Rmin < 2,60m bei Monolitzen) und der zur Verfügung stehenden Pfeilhöhe so festgelegt, dass im Bereich der Stütze kurze Strecken mit hoher Lastintensität zur direkten Lastabtragung entstehen. Derart reihen sich in einem Gurtstreifen Umlenkkräfte aneinander. Die Summe aller Umlenkkräfte aus Vorspannung zwischen zwei Auflagerpunkten verschwindet, weshalb man auch von einem Eigenspannungszustand spricht. Die in der Intensität hohen nach unten gerichteten Umlenkkräfte im Bereich der Stütze stehen mit den im Feldbereich nach oben gerichteten Umlenkkräften im Gleichgewicht (Bild 5).

Bild 5 Parabelförmiger Kabelverlauf zwischen zwei Auflagerpunkten

Der Wendepunkt zwischen den beiden gegenläufigen Krümmungen sollte möglichst nahe an der Stütze liegen, um die Umlenkkräfte in direktem Abtrag in die Auflagerfläche der Stütze einzuleiten. Die Lage des Wendepunkts wird durch die Stützweite, die Pfeilhöhe und den Minimalradius des Spannkabels bestimmt. Auf der Basis dieser Randbedingungen wird die Kabelgeometrie eindeutig festgelegt [8]. Um sich die aufwendige Ermittlung der jeweiligen Umlenkkräfte über die Ermittlung der zugehörigen Pfeilhöhen für den Feld- und für den Stützenbereich zu ersparen, kann über den Winkel des Kabels im Wendepunkt die gesamte Umlenkraft direkt ermittelt werden. Der vertikale Anteil der Spannkraft an dieser Stelle entspricht der Summe der Umlenkkräfte sowohl im Feld als auch über der Stütze. Über die Formeln für die Kabelgeometrie wird somit die Neigung im Wendepunkt ermittelt und damit stehen alle erforderlichen Angaben für die Umlenkkräfte zur Verfügung.

Bild 6 Geometrische Werte zur Festlegung eines parabelförmigen Verlaufs

Der Neigungswinkel im Wendepunkt lässt sich über die Vorgaben der Abschnitte A (Strecke vom Tief- zum Hochpunkt) und dem zugehörigen Abschnitt B bestimmen (Bild 6). Daraus ergibt sich die folgende Hilfsgröße:

Unter Berücksichtigung des minimal zulässigen Radius bestimmt sich dann die Lage des Wendepunktes im Grundriss und Aufriss.

Über die Funktion der quadratischen Parabel ist dann auch die Neigung im Wendepunkt definiert.

Für jeden der auf die Stütze zulaufenden Gurtstreifen lässt sich derart die Umlenkkraft ermitteln, und die gesamte Entlastung aus Vorspannung an der Stütze bestimmen.

Mit der Ermittlung des Winkels am Wendepunkt wird die vertikale Komponente der Vorspannkraft ermittelt und damit ist die Umlenkkraft bestimmt. Die Auswertung für unterschiedliche Spannweiten und verschiedene Deckenhöhen vermittelt einen Überblick über die Größenordnung der zu erzielenden Winkel bei den üblichen Flachdecken. Für mögliche Abschätzungen bzw. zur Kontrolle von bestehenden Berechnungen kann man die Größenordnung für den Winkel a bzw. für sin a entnehmen. Zur groben Abschätzung des Winkels liefert das Diagramm in Bild 7 einen mittleren Wert von sin a ≈ 0,08 Grad. Zudem stellt sich auch hier wieder die Frage nach einer zu großen Schlankheit für den Deckenquerschnitt, da die Werte für die Winkel markant kleiner werden. Das wiederum bedingt entsprechend mehr Spannkabel, um die gewünschte Entlastung durch Umlenkkräfte herbei zu führen.

Bild 7 Verlauf der Winkelgrößen für verschiedene Spannweiten und zugehöriger Schlankheit

6 Ermittlung der entlastenden Kräfte aus Vorspannung bezogen auf die Stütze

Wie oben dargestellt, lassen sich sämtliche entlastenden vertikalen Komponenten aus der Vorspannung an der jeweiligen Stütze ermitteln. Die beiden Anteile aus den Einwirkungen infolge Eigengewicht und der Verkehrslast können über die zugeordneten Einzugsflächen der Stützen ermittelt werden. I.d.R. sollte die entlastende vertikale Komponente aus Vorspannung etwa dem Anteil aus Eigengewicht entsprechen. Zur besseren Beurteilung der erforderlichen Entlastung aus Vorspannung lohnt sich ein Blick auf die maximalen bzw. minimalen Einwirkungen aus Eigengewicht, Verkehrslast und Vorspannung entlang des Stützenkopfs. Dabei sind die zeitlichen Materialeinflüsse auf die Veränderung der Vorspannung zu berücksichtigen. Die anfänglich aufgebrachte Spannkraft reduziert sich im Verlauf der Zeit durch die Materialeigenschaften des Betons aus Kriechen und Schwinden, sowie durch die Relaxation des hoch beanspruchten Spannstahls. Erfahrungsgemäß beläuft sich die zeitabhängige Reduktion auf den Wert von ca. 15%.

Bild 8 Alle Einwirkungen auf eine Stütze einer Flachdecke

Die maximalen Einwirkungen berücksichtigen sämtliche Anteile aller Einwirkungen und die Vorspannung nach Abzug aller zeitlichen Verluste [9].

Nach dem Betonieren und dem Erhärten des Betons wird die Spannkraft aufgebracht. Zu diesem Zeitpunkt hat die Vorspannung noch keine Verluste. Somit ergibt sich die minimale Einwirkung aller Komponenten:

Eine einfache Optimierung zur Erlangung der erforderlichen Vorspannkraft besteht darin, die minimalen den maximalen Einwirkungen betragsmäßig gleichzusetzen.

Diese Gleichung lässt sich nach der gewünschten Größe für die erforderliche Vorspannkraft auflösen.

Erfahrungsgemäß sollte der derart ermittelte Wert für die erforderliche Vorspannung noch abgemindert werden, um eine wirtschaftliche Auslegung der Vorspannkräfte zu erzielen.

Die Auswertung dieser Formeln wird graphisch in einem Diagramm für verschiedene Spannweiten dargestellt (Bild 9):

Wie man dem Diagramm entnehmen kann, liegt die Kurve für die erforderliche Vorspannkraft oberhalb der Einwirkungen aus dem Eigengewicht. Unter Berücksichtigung des Reduktionsfaktors gelangt man zu Werten die geringfügig über denjenigen des Eigengewichts liegen. Auch mit dieser Optimierungsvariante zeigt sich, dass eine wirtschaftliche Auslegung der Vorspannkräfte sich an dem Eigengewicht orientiert.

Bild 9 Ermittlung der optimalen Vorspannkraft in Funktion der Spannwei-te, der Schlankheit L/d=30; Verkehrslast p=5.0 KN/m2

7 Bestimmung der erforderlichen Umlenkkräfte

Mit der Bestimmung des Neigungswinkels im Wendepunkt der Spannkabelgeometrie und unter Berücksichtigung, dass der Abstand des Wendepunkts von der Stütze minimal wird, lassen sich die Umlenkkräfte für jeden Gurtstreifen ermitteln. Je Richtung der beiden die Stütze kreuzenden Stützstreifen ergeben sich unterschiedliche Neigungswinkel in Abhängigkeit von der Spannweite und den sonstigen geometrischen Verhältnissen. Über die Neigungswinkel lassen sich pro Stütze somit die vier Anteile aus der Vertikalkraft aus Vorspannung ermitteln. Unter Einbezug der vorgenannten Optimierung ergeben sich dann die erforderlichen Spannkräfte je Gurtstreifen.

Die Umlenkkräfte je Stützstreifen lassen sich auch ohne Kenntnis der Pfeilhöhe über den Neigungswinkel ermitteln.

Unter Berücksichtigung der Optimierung der Auflagerkräfte inklusive der Reduktion über den Faktor für eine wirtschaftliche Auslegung ergibt sich dann die gewünschte Spannkraft je Stützstreifen.

Daraus ergeben sich nach Umformung der Gleichungen die erforderlichen Spannkräfte in beide Richtungen.

Die vertikalen Anteile der Vorspannung werden bestimmt durch die Spannkraft und den Neigungswinkel. Schlussendlich werden alle Winkel addiert, um daraus die Spannkraft zu ermitteln. Die Summe aller Winkel in jede Richtung, in Verbindung mit der erforderlichen Umlenkkraft an der Stütze, ergibt die erforderliche Vorspannkraft.

 

Diese muss dann entsprechend dem Verhältnis der jeweiligen Winkel pro Richtung aufgeteilt werden. Das erfolgt mit Hilfe des nachstehend ermittelten Wertes:

 

Dann lässt sich die jeweilige Spannkraft pro Richtung über die nachstehende Formel ermitteln

 

Da die Spannkräfte je Richtung zueinander über die Formel (22) im Verhältnis stehen, wird somit die verbleibende Spannkraft ermittelt:

Diese Zusammenhänge lassen sich mit einem Tabellenkalkulationsprogramm verarbeiten, um den Einfluss der Parameter auf das gewünschte Resultat zu ermitteln. In den bisherigen Diagrammen wurde dieser Weg verfolgt und die Ergebnisse für ausgewählte Parameter dargestellt.

Für einen quadratischen Grundriss, bei üblicher Verkehrslast und den vorgenannten geometrischen Verhältnissen für die Pfeilhöhen wird exemplarisch ein Diagramm (Bild 10) darstellt bei dem der Anwender, in Funktion verschiedener Werte, für die Deckenschlankheit die erforderliche Anzahl an Spannkabeln in die beiden Richtungen ermitteln kann. Eine ausreichende Flexibilität bei der Wahl der Deckenstärke ist gegeben.

Bild 10 Diagramm zur Ermittlung der Spannkräfte in den jeweiligen Gurtstreifen

Weitere Auswertungen für z.B. andere Einwirkungen aus Verkehrslasten und/oder für nicht quadratische Spannweitenverhältnisse sind jederzeit über die Erfassung in einem Tabellenkalkulationsprogramm möglich.

Mit der Festlegung der Anzahl der Spannkabel in dem jeweiligen Gurtstreifen gemäß dem Diagramm (Bild 10) lässt sich auch der Spannstahlverbrauch abschätzen. Das wiederum dient auch als Hilfsmittel bei der Vordimensionierung, um die Kosten für die Vorspannung zu ermitteln. Dem Diagramm (Bild 11) ist für die üblichen Flachdeckenkonstellationen ein Verbrauch von 3.0 bis 4.0 kg/m² zu entnehmen. Das betrifft ausschließlich die Anordnung mit einer Stützstreifenvorspannung. Sollte eine verteilte Vorspannung ergänzend vorgesehen werden, dann verdoppelt sich der Verbrauch. Auch daran erkennt man die Wirkung einer Gurtstreifenvorspannung, die bei geringem Materialeinsatz ein zufriedenstellendes Ergebnis für den Trag- und Gebrauchszustand abliefert und zugleich noch wirtschaftlich bleibt.

Bild 11 Spannstahlverbrauch für die optimierte Verwendung einer Stützstreifenvorspannung

Diese Publikation dient der allgemeinen Darstellung der Zusammenhänge bei der Ermittlung der erforderlichen Spannkabel für vorgespannte Flachdecken. Um den Umfang der Publikation zu beschränken, wurde nur ein Diagramm (Bild 10) abgebildet. Weitere Diagramme für in die beiden Richtungen unterschiedliche Spannweiten und andere variable Einwirkungen können bei dem Verfasser angefragt werden. Ergänzend wurden auch analoge Diagramme mit den zuvor genannten Kabelverläufen (Trapezgeometrie, freie Spanngliedlage) erstellt.

 

8 Anwendungen und Ausführungen

Wie in der Einleitung erwähnt, gehört die Realisierung der Planung zu den Aufgaben eines Ingenieurs. Die Voraussetzung einer reibungsfeien Umsetzung auf der Baustelle sind zum einen die Pläne aber auch die Details z.B. für den Einbau von Kabel und Spannanker. Nur bei genauer Vorplanung und vorgängiger Überprüfung der Einbaubarkeit ist die gewünschte Qualität zu erreichen.

Bild 12 Höhenlage der Spannkabel über der Stütze, um den geplanten Neigungswinkel sicher zu stellen / © Innogration GmbH

Wichtige zu beachtende Punkte bei einer vorgespannten Flachdecke sind:

  • Festlegung der Reihenfolge des Einbaus der schlaffen Bewehrung und der Spannkabel
  • Lage der Abstandshalter insbesondere deren Anordnung im Bereich der Stütze in beide Richtungen (Bild 12)
  • Platzbedarf für die Anker (Höhe, Breite, Neigung) entlang der Ränder
  • Zugänglichkeit für das Anbringen der Spannpressen

Werden diese Punkte vorgängig beachtet und entsprechend geplant, erfolgt der Ablauf auf der Baustelle sehr einfach und auch schnell.

Die einzelnen Spannkabel werden zu Bündeln zusammengefasst. Ein Bündel wird dann entlang des Gurtstreifens über den Abroller, welcher am Kran hängt, innerhalb des Gurtstreifens verlegt. Begonnen wird mit dem Ort des festen Ankers. Der Spannanker ist dann bereits an der Seitenschalung montiert. Die einzelnen Litzen werden dann in den Anker eingeschoben.

Bild 13 Spannkabel in Bündel zusammengefasst innerhalb eines Gurtstrei-fens verlegt / © Innogration GmbH

Da die oberen Bewehrungslagen nach dem Einbau der Spannkabel montiert werden, hilft auch hier die freie Fläche, wenn nur Spannkabel in den Gurtstreifen verwendet werden (Bild 14).

 

Bild 14 Flachdecke mit Stützstreifenvorspannung / © Domostatik GmbH

9 Schlussbemerkung

Vorgespannte Flachdecken erlauben größere Spannweiten und schlanke Deckenquerschnitte. Dennoch können damit die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und die Tragfähigkeit optimal erfüllt werden. Unter Beachtung der vorerwähnten Hinweise ist eine Planung beginnend mit dem Entwurf für die vorgespannte Flachdecke sehr einfach und zielführend. Zu den Aufgaben des Ingenieurs bei der Bearbeitung eines Bauwerks gehören eben nicht nur die Berechnung, sondern auch der Entwurf, die konstruktive Durchbildung und die Realisierung. Die Berechnung wird heutzutage ausreichend durch entsprechende Programme unterstützt. Leider fehlen jedoch Hinweise und Hilfsmittel für die vorgeschalteten Aufgaben, insbesondere bei vorgespannten Bauteilen wie z.B. der Flachdecke. Diese Lücke sollen die dargestellten Hinweise und Informationen helfen zu schließen. Damit verbunden ist dann auch die Hoffnung, dass die wunderbare Technik der Vorspannung insbesondere bei Hochbaukonstruktionen eine größere Verbreitung findet.

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Literatur

  1. David P. Billington: Robert Maillart;: cambridge university Press, 1997
  2. Beat Matter: „Der Brückenbauer“ – Interview mit Christian Menn am 27.08.2010; http://beatmatter.ch/2010/08/27/der-brueckenbauer/
  3. FIP-Handbook on Practical Design: Examples of the Design of Concrete Structures, Thomas Friedrich – Example H. Grindel business centre, Bassersdorf, Switzerland: flat-slab office building (Partial prestressing of flat slabs with unbonded tendons), ISBN: 9780727735447; Thomas Telford Ltd, 1990
  4. Karl Morgen, Diedrich Nölting, Ekkehard Wollrab: Flachdecken mit Vorspannung ohne Verbund nach DIN 1045-1; Beton- und Stahlbetonbau 99 (2004), Heft
  5. Konrad Bergmeister, Walter Weis, Josef Taferner, Philip Sicher: Verbundlose interne Vorspannung von weitgespannten Plattentragwerken im Hochbau; Beton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 6
  6. Arne Laugesen, Gerald Schmidt-Thrö, Oliver Fischer, Hubert Buster: Auswirkungen von Lageabweichungen bei der Verwendung der freien Spanngliedlage – Ansatz der Vorspannkräfte im GZT; Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014) Heft 9
  7. Stahlton AG „Vorgespannte Flachdecken“, Broschüre Stahlton AG, Zürich Schweiz, Version 1987
  8. J. Kammenhuber, J. Schneider: „Arbeitsunterlagen für die Berechnung vorgespannter Konstruktionen.“; Herausgeber Stahlton AG; Ra-Verlag Rapperswil, 1974
  9. K. Stamm; R. Kägi: „Vorgespannte Flachdecken im Lagerhaus Schöntalhof.“, Rupperswil; Schweizerische Bauzeitung 91 11
  10. . Jahrgang Heft 49, 1973

Autoren

Dipl.-Ing. Thomas Friedrich
Lehrbeauftragter der TU Kaiserslautern
INNOGRATION GmbH
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